Sekundäre Pflanzenstoffe I

Einordnung

Der Begriff sekundäre Pflanzenstoffe wurde erstmals 1891 von Albrecht Kossel, einem Pflanzenphysiologen und Nobelpreisträger verwendet. Obwohl es bis heute keine einheitliche Definition gibt, weiß man, dass es sich um eine Reihe sehr vielfältiger chemischer Verbindungen  handelt, die ausschließlich von Pflanzen und zwar im so genannten Sekundärstoffwechsel gebildet werden. Im Gegensatz zu den primären Pflanzenstoffen wie Vitamine oder Mineralstoffe sind sie in noch geringeren Konzentrationen vorzufinden, entfalten jedoch enorme Wirkungen auf den verschiedensten Ebenen des Stoffwechsels.

Besonders Obst und Gemüse enthalten eine reichliche und differenzierte Vielzahl dieser wertvollen Stoffe. Es handelt sich hierbei um Stoffe, die der Pflanze u. a. als Abwehrstoffe gegen Schädlinge, als Wachstumsregulatoren, in der Energieerzeugung, am Zellaufbau sowie als Farb-, Geschmacks-, Geruchs-, Lock- und Signalstoffe dienen. Desweiteren dienen sie vielen Gewächsen als eine Art Sonnenmilch: Sie schützen vor den schädlichen Auswirkungen der UV-Sonnenstrahlung.

Aufgrund ihrer chemischen bzw. funktionellen Eigenschaften teilt man sie in neun Stoffgruppen ein:

  • Carotinoide (Betacarotin, Alphacarotin, Lykopin, Lutein, Zeaxanthin, u.a.)
  • Glucosinolate
  • Monoterpene
  • Phytoöstrogene
  • Phytosterine
  • Polyphenole (Flavonoide, Phenole, Phenolsäuren, Isoflavonoide, u.a.)
  • Protease-Inhibitoren
  • Saponine
  • Sulfide

Daneben gibt es weitere Verbindungen, die sich keine der Gruppen zuordnen lassen, wie z.B. Lektine, Chlorophyll oder Phytinsäure.Sekundäre Pflanzenstoffe

Die Wirksamkeit dieser Stoffe hat Wissenschaftler in aller Welt in den letzten Jahren verstärkt zu Forschungen angeregt. Etwa 30.000 verschiedene Sekundäre Pflanzenstoffe sind bis heute identifiziert, etwa 10.000 verschiedene nehmen wir mit den Lebensmitteln auf, von denen aber nur an die 100 näher erforscht sind. So wird man erst in den nächsten Jahrzehnten die komplexe Wirkungsweise dieser Vitalstoffe weitgehend verstanden haben.

Aber schon heute geben über 250 wissenschaftliche Studien beeindruckende Hinweise auf den positiven Einfluss einer Reihe von Zivilisationserkrankungen. Diesen Erkenntnissen zufolge sind zwar theoretisch in aller Munde, aber noch nicht praktisch.

Vom Gift zum „Phytochemical“

Lange Zeit galten die SPS als ausschließlich toxisch, so dass man ihnen keine weitere Beachtung schenkte und wenn, dann nur in der Hinsicht, ihren Anteil in Obst und Gemüse möglichst niedrig zu halten. Zu den Giftstoffen zählt zum Beispiel die Gruppe der Alkaloide. Ihr bekanntester Vertreter ist wohl das in grünen Kartoffeln oder Tomaten vorkommende Solanin. Der Wendepunkt kam Anfang der 90er Jahre: Damals zeigten amerikanische Wissenschaftler, dass Menschen, die viel Obst und Gemüse essen, wesentlich weniger Krebs bekommen. Dabei litt das Viertel der Personen, die am wenigsten Obst und Gemüse aßen, doppelt so häufig an Krebs wie das Viertel der Personen mit dem höchsten Konsum. So erfolgte eine Neubewertung der gesundheitlichen Bedeutung von sekundären Pflanzenstoffen und entsprechend hat sich der Forschungsschwerpunkt in den letzten 20 Jahren verlagert.

Ähnlich wie die klassischen Radikalfänger (Vitamine A, C, E und das Spurenelement Selen)    schützt eine Vielzahl sekundärer Pflanzenstoffe vor aggressiven    Sauerstoffverbindungen. Dies wirkt sich neben Krebs unter anderem positiv auf    Entzündungsprozesse, das Immunsystem und degenerativen    Gehirnerkrankungen wie    Alzheimer, Demenz oder Parkinson aus. Andere SPS schützen vor Bakterien und    Viren, verhindern Blutgerinsel und sind    verdauungsfördernd. Es gilt also, möglichst verschiedene Obst- und     Gemüsesorten zu verzehren, um mit möglichst vielen SPS versorgt zu sein. Die Liste der protektiven und gesundheitsfördernden Eigenschaften ließe sich lange fortsetzen.

Dies ist ein Grund für die momentan fortschreitende Entwicklung von Produkten, deren Vermarktung sich nicht nur auf den Aspekt der Bedarfsdeckung, sondern vielmehr hinsichtlich des Gesundheitsaspektes – durch Anwesenheit solcher bioaktiver Stoffen oder „Phytochemicals“ wie sie auch genannt werden – konzentriert. Als Beispiel ist hier das Konzept des so genannten Functional Food zu nennen.

Pille oder Natur?

Allerdings sind solche Verkaufsstrategien umstritten. Denn der gegenwärtige Kenntnisstand über die Bedeutung der SPS reicht noch nicht aus, um Zufuhrempfehlungen für einzelne SPS auszusprechen. Die Ergebnisse werden vielfach aus Tierversuchen und in vitro Studien gewonnen. Eine Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen ist nicht ohne weiteres möglich. Stoffwechseleinflüsse beim Verzehr von Lebensmitteln mit hohem SPS-Anteil sind nachweisbar, nicht aber bei der Aufnahme der isolierten Verbindungen. Demnach ist das Zusammenspiel verschiedener sekundäre Pflanzenstoffe entscheidend. Die isolierte Zufuhr einzelner Verbindungen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln oder Functional Food kann daher nicht empfohlen werden. Im Gegenteil: Bei Studien, in denen nur eine isolierte Substanz gegeben wurde, kam es sogar mitunter zu einer Erhöhung des Krebsrisikos. Ein hoher Verzehr von Gemüse und Obst in seiner ursprünglichen Form steigert jedoch die Aufnahme von sekundären Pflanzenstoffen und trägt zur Gesunderhaltung bei.

Roh oder gekocht

Wenn möglich sollte man das Gemüse immer zu den Mahlzeiten einnehmen. Viele der darin vorhandenen SPS sind nämlich fettlöslich. Zusammen mit dem Nahrungsfett werden sie dann besonders gut aufgenommen. Zur Schutzwirkung einzelner Gemüsearten: Eine starke Anti-Krebs-Wirkung zeigen vor allem viele Kohlarten; vor allem das Risiko von Dickdarm- und Leberkrebs verringerte sich. Karotten, Mangos, Tomaten, Kohl und Brokkoli wirken besonders gegen Lungenkrebs.

Wichtig ist auch die unterschiedliche Wirkung von erhitztem und unerhitztem Gemüse. Viele Studien zeigen, dass Gemüse, das nicht gekocht wurde, besonders gut vor Krebs schützte. Allerdings reagieren die SPS sehr unterschiedlich auf Erhitzung. Zum Beispiel leiden die so genannten Glucosinolate aus Kohlgewächsen unter der Hitze – 30 bis 60 Prozent werden zerstört, je nach Kochzeit. Dagegen ist eine andere Gruppe von SPS, die Flavonoide, sehr hitzestabil. Einige SPS werden sogar nur durch Kochen verfügbar, weil sie normalerweise in den Zellen eingeschlossen sind. Erst wenn die Zellen durch die Hitze aufplatzen, kann der Mensch sie aufnehmen.

Fazit

Sekundäre Pflanzenstoffe haben einen nachgewiesenermaßen positiven Effekt auf die Gesundheit. Viele Wirkungen sind allerdings noch unbekannt. Bestrebungen, die wertvollen Stoffe in Pillenform auf den Markt zu bringen sind daher verfrüht. Denn erst die Vielfalt der verschiedenen Pflanzenstoffe zeichnet sich für die positiven Wirkungen verantwortlich. Außerdem ist die Verfügbarkeit der einzelnen Pflanzenstoffe aus Präparaten bisher noch kaum untersucht. Auch der exakte Bedarf der einzelnen Stoffe ist bisher nicht bekannt. Also lässt sich nicht bestimmen, mit welchen Mengen die Präparate angereichert werden müssten.

Wichtig ist viel mehr die Integrierung möglichst vieler verschiedener Gemüse- und Obstsorten der Saison in die tägliche Ernährung, denn die wichtigen Gesundheitsspender bilden sich erst am Ende der Reifezeit. Früh geerntetes und dann nachgereiftes Obst enthält nur einen Bruchteil der sekundären Pflanzenstoffe. Daher sollten die, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen, lieber zum Markt oder direkt zum Erzeuger gehen, statt im Supermarkt das dort häufig angebotene Treibhausgemüse zu kaufen. Denn dies wird tatsächlich meist unreif geerntet.
Übrigens: Je mehr Obst und Gemüse gegessen wird, desto besser ist der Schutz. Es gibt in diesem Sinne kein Zuviel.